Der Baltische Weg – in die Freiheit

Sigutė Smetonaitė-Petrauskienė (vierte v.li.) auf der Via Baltica, einen Kranz in Händen haltend und mit einem Nationalband am Revers ihrer Bluse.
© Nuotrauka Baltijos kelyje – Europeana 1989, Lithuania – CC BY-SA

Wer dem Kulturforum oder mir auf Instagram folgt, hat vielleicht gesehen, dass wir den August hauptsächlich mit dem Filmen einer Dokumentation meiner Arbeit hier in Memel/Klaipėda verbracht haben. Immer wieder ein Thema dabei: Freiheit. Ob in Interviews, die wir führten, oder nach Drehschluss. Was ist uns diese Freiheit wert? Den Litauern, deren Flüssiggasterminal sogar „Independence“ heißt, bedeutet sie unter anderem Energiefreiheit. Der Kamerafrau und mir, da waren wir uns einig, dass wir uns gerne einschränken, wenn wir dafür weiterhin selbstbestimmt leben und arbeiten können.

Heute jährt sich zum 33. Mal ein Ereignis, das in der Geschichte der Sowjetunion und des Baltikums einmalig war. Am 23. August 1989, in Erinnerung an den fünfzigsten Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes und des folgenreichen geheimen Zusatzprotokolls, bildeten an die zwei Millionen Esten, Letten und Litauer eine 600 Kilometer lange Menschenkette von Tallinn quer durch das Baltikum bis Vilnius. Ziel war es, in ihrem Bestreben nach Freiheit und Selbstbestimmung ein Zeichen zu setzen. Das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes, in dem das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion die baltischen Staaten und Polen unter sich aufgeteilt hatten, zementierte Jahrzehnte großen Leids und den weitgehenden Verlust der eigenen Identität und Kultur für die Balten.

Der Baltische Weg bei Inčukalna/Lettland, in der Nähe des Restaurants „Sēnīte“, wo die Familien Valdusu und Dikaus an der Menschenkette teilnahmen.
© Baltijas ceļa pie Inčukalna – Europeana 1989, Latvia – CC BY-SA

Dabei hatten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bereits einmal große Teile des Baltikums zum Russischen Zarenreich gehört. Zwischen 1914 und 1918 wurde das gesamte Gebiet schrittweise von deutschen Truppen besetzt. Die daraus folgende Trennung von Russland sowie der deutsche Rückzug nach dem verlorenen Krieg bereiteten den Weg in die Unabhängigkeit der drei baltischen Länder. Estland und Litauen erklärten im Februar 1918 die staatliche Souveränität, Lettland im November des gleichen Jahres.

In der Zwischenkriegszeit blieben die drei Staaten unabhängig und gaben sich moderne Verfassungen. In Folge des Hitler-Stalin-Paktes 1939 wurden „sozialistische Revolutionen“ inszeniert, die nach Ansicht der Sowjetunion den Ausschlag gaben, dass Estland, Lettland und Litauen als sozialistische Sowjetrepubliken der UdSSR beitraten. Bis heute ist Russland mit dieser Auffassung alleine. Die baltischen Länder wie ihre Verbündeten bezeichnen den „Beitritt“ bis heute als Annexion. Was vor kurzem noch wie reine Wortklauberei erschien, wurde in Zeiten des Ukraine-Krieges zu einem kleinen, aber feinen Unterschied. Wenn Russland heute erneut versucht, die Unabhängigkeit der baltischen Länder in Zweifel zu ziehen, bedürfen diese Staaten mehr denn je unserer Unterstützung. 

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich die Sowjetisierung des Baltikums fort und wurde von drakonischen Strafmaßnahmen begleitet: Hunderttausende wurden bis in die 1950er Jahre nach Sibirien verschleppt, um den Widerstand gegen die Sowjetherrschaft zu brechen. Neben den Deportationen wurden gezielt russischstämmige Industriearbeiter in den drei baltischen Sowjetrepubliken angesiedelt. Bis 1957 durften darüber hinaus die jeweiligen Landessprachen nicht an den Schulen unterrichtet werden.

Nachdem im Sommer 1988 hunderttausende Sänger zu einem Chorfest nach Tallinn gekommen waren, um den ungebrochenen Freiheitswillen ihrer Länder zu bezeugen, war die baltische Unabhängigkeitsbewegung geboren.

Liste der Organisatoren des Baltischen Wegs und ihrer jeweiligen Wegmarker in Litauen.
© Baltijos kelio trasos Vilnius–Bauskė atsakingų asmenų sąrašas – Europeana 1989, Lithuania – CC BY-SA

Das friedliche Singen ihrer Volkslieder gab den Balten ein neues Nationalbewusstsein und ihrer Bewegung schließlich den Beinamen die „Singende Revolution“. Das historische Datum des 23. Augusts hatte für Esten, Letten und Litauer eine gemeinsame Bedeutung. So waren ihre Länder die einzigen in Europa, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zuvor vorhandene staatliche Eigenständigkeit durch die sowjetische Besetzung nicht wiedererlangt hatten. An diesem Tag 1989 wurde mit der Menschenkette „Der Baltische Weg“ Wirklichkeit. Wenige Monate später, im Frühjahr 1990, erklärten Estland, Lettland und Litauen jeweils die Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit. Die internationale Anerkennung erfolgte schließlich im Sommer 1991.

Flugblatt von 1991 in Erinnerung an den Baltischen Weg.
© Privatbesitz

Die deutsche Botschaft in Litauen schreibt aus Anlass des heutigen Tages auf ihrer Facebook-Seite:

„Der Baltische Weg ist auch heute noch ein leuchtendes Beispiel für Einigkeit, für ein gemeinsames Ziel: FREIHEIT, bei der Unterstützung der Ukraine im Kampf um Freiheit.“

Empfehlung
Bereits zum dreißigjährigen Jubiläum des Baltischen Weges 2019 hat das litauische Außenministerium ein sehenswertes Video auf youtube veröffentlicht:

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